Konzeption & Text. Sandra Cremer



Und wie gefällt’s dir in Berlin?

29. Februar 2024

Illustration von Berlin

Fast neun Monate sind seit meinem Umzug nach Berlin vergangen. Zeit für eine Zwischenbilanz. Auch wenn ich die Stadt vorher schon gut kannte, ist es doch etwas anderes, tatsächlich hier zu leben. Meine subjektiven und unvollständigen Erfahrungen und Erkenntnisse von A bis Z:

Arzt

Krank sein oder werden sollte man in Berlin besser nicht. Facharzttermine sind rar. Dass man mehrere Monate darauf warten muss, ist eher die Regel als die Ausnahme. Es sei denn, man ist Privatpatient, was ich glücklicherweise bin.

BVG

Sie ist bei weitem nicht so schlecht wie ihr Ruf. Ja, es gibt immer wieder scheinbar endlose Baustellen. Trotzdem kommt man immer überall hin. Weniger schön: das Betteln in den Zügen. Mittlerweile bin ich ein Meister im Durch-die-Leute-Schauen. Wer Blickkontakt riskiert, ist das nächste „Opfer“ (siehe auch Elend).

Kleiner Nachtrag: Heute und morgen wird gestreikt 😉

Clans

Mit Clans hatte ich bisher keine bewussten Berührungspunkte. Wobei mich doch bei dem ein oder anderen Geschäft der Verdacht beschlichen hat, dass es in erster Linie der Geldwäsche dient. Aber da ist vielleicht die Fantasie mit mir durchgegangen. Klar gibt es Viertel mit Clan-Kriminalität. Allerdings muss man da ja nicht unbedingt hin (siehe Gefahr).

Dreck

Was Dreck anbetrifft, muss man seine Schmerzgrenze nach oben verschieben. Wobei ich sagen muss: Das gilt inzwischen wohl für die meisten Großstädte. Auch München ist längst nicht mehr so sauber, wie es mal war. In der bayerischen Landeshauptstadt gibt es einen negativen Trend. In der Bundeshauptstadt war es früher noch schlimmer. Als es noch keine Hundekotbeutel gab, waren die Grünstreifen an den Straßenrändern so vermint, dass man keinen Schritt darauf setzen konnte.

Elend

Dass es in Berlin viel Armut und Elend gibt, wusste ich schon vorher. Aber wie schlimm es teilweise ist, hat mich doch erschreckt. Anfangs. Man kann nicht immer Mitleid haben. Und man kann nicht jedem, der es nötig hätte, Geld in die Hand drücken. Abgesehen davon ist es fraglich, ob das überhaupt sinnvoll ist. Also hilft nur Abstumpfen (siehe BVG).

Falafel

Falafel kann man drei Monate lang jeden Tag essen. Danach reicht aber einmal pro Woche. Sogar 14-tägige Pausen sind auszuhalten. Meine Empfehlung: Darauf achten, dass die Falafel frisch gemacht werden (keine Tiefkühlkost). Ein Riesenunterschied! Meine Lieblinge: Zaim Falafel und La Corniche.

Gewalt

Ich hatte in diesem Dreivierteljahr kein Erlebnis, das ich als gefährlich eingestuft hätte. Das kann man natürlich nicht verallgemeinern. Es gibt hier Gewalt, sonst stünde davon nichts in der Zeitung. Aber es ist bei weitem nicht so wild, wie Nichtberliner oft denken. Und selbst einen Spaziergang im Görlitzer Park kann man überleben.

Handel

In meinem Viertel kann man einkaufen bis zum Umfallen. Die Zahl der Lebensmittelläden ist so hoch, dass ich mich frage, wie sie sich parallel halten können. Ich muss allerdings anmerken, dass mein Viertel zwar das kleinste, aber das am dichtesten besiedelte Berlins ist. Unbedingt erwähnt gehören die Spätis: geilste Erfindung ever!

Ideal

„Ich fühl mich guuut … Ich steh auf Berlin.“ Das Berlin, das Ideal besungen hat, war noch ein anderes, weil vor dem Mauerfall. Ich mochte Berlin damals schon und mag es heute noch. Und die ganzen Berlins dazwischen haben mir auch gefallen – jedes auf seine Art. Berlin ist einfach meine Stadt!

Juhu!

Ich freue mich jeden Tag aufs Neue, hier zu sein! (siehe Ideal)

Kanalisation

Im Sommer muss man manchmal tapfer sein. Die Gerüche aus der Kanalisation sind, nun ja, gewöhnungsbedürftig. Einfach die Luft anhalten, an Blumenwiesen denken und durch!

Luft

(siehe Kanalisation)

Multikulti

An vielen Orten trifft man mehr Menschen aus anderen Ländern als gebürtige Berliner. Wo ich zum Bouldern gehe, hört man am meisten Englisch, dann Spanisch und dann erst Deutsch. In meinem Aikido-Training tummeln sich Leute aus Italien und Japan, aus Kirgisien, Litauen, Polen und Russland, aus Thailand und seit kurzem auch aus Uruguay. Den Rest hat es aus allen Teilen Deutschlands angeschwemmt – so wie mich. Okay, ein paar wenige „echte“ Berliner gibt es auch. Die restlichen Nationalitäten sind natürlich im Straßenbild ebenfalls vertreten. Wer es ganz genau wissen möchte, der schaue hier nach.

Nachtleben

(siehe Party)

Ostberlin

Auch wenn Berlin nicht mehr geteilt ist: Die Teilung der Stadt gibt es gefühlt immer noch. Den an den Westen angrenzenden ehemaligen Ostbezirken merkt man das nicht mehr so an. Aber selbst ich habe ganz klar vor meinem geistigen Auge, wo früher die Mauer verlief. Ich gehe jedoch davon aus, dass dieser Blick mit meiner Generation aussterben wird.

Party

Ich bin nicht mehr in dem Alter, wo ich jeden Tag Party machen muss. Aber wenn ich Lust habe, gibt es Möglichkeiten noch und nöcher. Vor allem, wenn man über den eigenen Stadtteilrand hinausschaut, kann man feiern, solange man durstig und lustig ist. Und so ziemlich jede Band, die in Deutschland spielt, kommt nach Berlin. Konzerttechnisch ist also einiges geboten. Das Gleiche gilt für Kulturveranstaltungen aller Art.

Querdenker

Hier demonstriert jeden Tag irgendjemand für irgendetwas. Am Wochenende sind es so viele verschiedene Gruppierungen, dass sie sich um die besten Plätze kloppen müssen.

Restaurants

Besonders in meinem Viertel (aber auch in vielen anderen) reiht sich Restaurant an Restaurant und es gibt nichts, was es nicht gibt. In Sachen Essen gehen ist Berlin unschlagbar. Es ist nicht mehr so billig wie vor 2+ Jahren. Aber wie auch? Schließlich ist überall so ziemlich alles teurer geworden.

Schnee

Die weißen Flocken sind hier eine Seltenheit. War aber immer schon so. Ich vermisse den Schnee nicht.

Tage

Im Winter sind die Tage deutlich kürzer als in Bayern. Aber dafür im Sommer deutlich länger. Ausgleichende Gerechtigkeit.

U-Bahn

Die braucht einen eigenen Punkt. Denn sie fährt direkt unter unserem Haus, was sich durch Brummen und Vibrieren bemerkbar macht. Aber: Ich liebe das. Es hat so etwas Beruhigendes, wenn man weiß, dass die Welt noch „funktioniert“.

Verkehr

Im Vergleich zu München sind in Berlin die Autofahrer freundlich und langsam. Aber es gibt Ausnahmen. Die langen breiten Straßen laden einfach zu nächtlichen Autorennen ein.

Wohnen

Berlin hat noch lange keine Münchner Preise, aber es geht in diese Richtung. Ich weiß nicht, ob in irgendeiner anderen deutschen Stadt die Mieten prozentual so stark gestiegen sind wie hier. Vor allem aber gibt es Massen von Bewerbern für jede halbwegs vernünftige Wohnung. Ich bin froh, dass wir eine schöne gefunden haben, die noch bezahlbar ist.

X-Berg

Macht immer noch Spaß, in Kreuzberg auszugehen. Hier finden sich auch Urgesteine wie das SO36, das ich persönlich per Crowdfunding vor dem Untergang bewahrt habe!

Yak

Sogar einen Nepalesen habe ich ganz in der Nähe (Yak und Yeti). Aber leider immer noch nicht ausprobiert, weil es noch so viele Alternativen gibt (siehe Restaurants).

Zahnarzt

Ich stehe vor der Zahnarztpraxis. Es kommt einer mit dem Fahrrad vorbei und meint zu mir: „Scheiß auf den Zahnarzt! Komm lass uns saufen gehen!“ Dit is Berlin.

 

Sprachverliebt

8. Februar 2024

Leuchtreklame mit "LOVE"

Für viele ist Sprache nur Mittel zum Zweck. Für mich ist Sprache ein Spielplatz, auf dem es immer etwas Neues zu entdecken gibt.

Ich bin begeistert, wenn ich einen Ausdruck höre, den ich vorher noch nicht kannte. Wenn ich im Englischen ein Wort lese, für das es im Deutschen keine Entsprechung gibt, freue ich mich wie ein kleines Kind. Und wenn mir beim Schreiben wirklich peinliche Wortspiele einfallen, muss ich heimlich kichern. Ein Pumuckl-Gedicht hat für mich den gleichen Wert wie ein literarisches Werk.

Manchmal bin ich aber auch sehr spießig, was die Sprache angeht. Wenn jemand in einem Gespräch ein falsches Wort benutzt, kann ich nicht mehr zuhören, bis ich das richtige Wort gefunden habe. Wenn ich geschäftliche E-Mails mit vielen Fehlern lese, frage ich mich: Kannst du es wirklich nicht besser oder gibst du dir einfach keine Mühe? Bei Büchern oder Zeitschriften ist es noch schlimmer. Wenn ich in kurzer Zeit mehrere Fehler entdecke, kann ich den Text nicht weiterlesen, weil sich alles in mir dagegen sträubt.

Wie passt das zusammen? Das Verspielte und das Verspießte? Wenn man bewusst mit Konventionen bricht, kann das lustig und spannend sein. Wenn man es aber aus Unvermögen oder Nachlässigkeit tut, kann ich das nicht gutheißen.

Bevor jetzt Kritik auf mich einprasselt: Natürlich weiß ich, dass es viele Menschen gibt, die eine Lese-Rechtschreib-Schwäche haben oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Aber wenn man mit Schreiben seinen Lebensunterhalt verdient, sollte man das schon können. Leider erlebe ich oft das Gegenteil.

PS: Foto von Shaira Dela Peña auf Unsplash

Jetzt wird’s aber Zeit!

19. Dezember 2023

Treppenhaus mit Pfeilen nach obenDie eigene Seite ist das ewige Stiefkind. Wenn man die Muse hat, sich darum zu kümmern, ist die Auftragslage mau. Meinen guten Vorsatz, jeden Monat wenigstens einen Blogbeitrag zu schreiben, habe ich nicht eingehalten. Aber was soll das Heulen und Zähneklappern? Das nächste Jahr steht schon vor der Tür. Es ist also Zeit, die alten Vorsätze zu kicken und sich neue zu verpassen. Was also nehme ich mir vor für 2024? Gar nichts und ganz viel. Flexibel und spontan zu sein ist viel erstrebenswerter, als sich an strikte Pläne zu halten. Zumindest soweit es einen selbst betrifft.

In diesem Sinne: Euch allen wunderbare Weihnachten und ein prickelndes neues Jahr!

PS: Das Bild hat keinerlei Bezug zum Artikel. Es hat mir einfach nur gefallen. Besten Dank an Arno Senoner!

Bitte legen Sie nicht auf!

10. Januar 2023

Foto von Kurt Liebhaeuser auf Unsplash

Schon vor Jahrzehnten hat man sie verflucht und heute ist sie noch unbeliebter: die Warteschleife. Waren die Methoden in den Anfängen eher plump, so werden sie immer perfider. Mit einer Fülle von Pseudo-Informationen wird die Ausdauer des Anrufers auf die Probe gestellt. Zum Beispiel mit der penetrant wiederholten Ansage, dass man auch auf der Website nach Antworten suchen bzw. sich mit dem Chatbot unterhalten könne (Haha, der war gut!) oder „Wussten Sie schon, dass …“ (Nein, interessiert mich auch nicht!) oder ähnliches Blafasel. So lässt sich schon locker eine Minute füllen, bevor man überhaupt weiß, an welcher Position man sich befindet bzw. wie lange es noch dauert, bis man dran kommt.

Riskantes Spiel

Bei der Auskunft „Ihre Wartezeit beträgt voraussichtlich über zehn Minuten“ geben die meisten bereits auf. Man kann aber auch pokern. Es könnte sich ja um eine weitere Hürde handeln, mit der weniger motivierte Anrufer ausgesiebt werden sollen. Aber der Einsatz ist dann doch zu hoch. Schließlich besteht die realistische Gefahr, dass man nach einer halben Stunde mit einem fröhlichen „Versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal“ aus der Leitung geworfen wird.

Qualen mit Zahlen

Eine alte und bewährte Hinhaltetaktik ist es, den Anrufer zur Interaktion zu nötigen. Zum Beispiel: Wenn Sie Anliegen X haben, dann drücken Sie die Ziffer Y (bevorzugt mit vielen Untermenüs). Problem ist nur, dass sich die individuelle Anfrage oft nicht den genannten Kategorien zuordnen lässt. Damit hat man schon verloren, weil man sich nun per Trial and Error in mehreren Anrufen zum richtigen Ansprechpartner vortelefonieren muss. Gemein ist auch, wenn die Angabe einer Auftrags-, Bestell-, Kunden- oder sonstigen Nummer gewünscht wird (die natürlich aus mindestens 10 Ziffern besteht).

Bitte sprechen Sie jetzt

Allerdings hat man beim Tippen wenigstens gute Erfolgschancen. Bei der Spracheingabe ist die Fehlerquote nämlich um einiges höher. Jeder dürfte schon einmal verzweifelt „JAAA!“ oder „NEIIIIN!“ gebrüllt haben, wenn er zum x-ten Mal wegen „Leider habe ich Sie nicht verstanden“ in der Leitung festhängt. Wird man aber darum gebeten, ein Stichwort zu nennen, sollte man sein Vorhaben lieber direkt ad acta legen …

Spiel mir das Lied vom Tod

Der reinste Psychoterror hingegen ist die zermürbende Warteschleifenmusik. Die langsam aussterbende Old-School-Version ist elektronisches Klingelton-Gedudel (sehr beliebt: Für Elise). Manchmal wird man auch mit einer Melodie empfangen, die so deprimierend ist, dass man sich am liebsten sofort aus dem Fenster stürzen möchte. Dann gibt es die Variante „peppig“ mit einem etwas angestaubten Hit oder einem eigens für das Unternehmen komponierten Song. Hat man gezwungenermaßen öfters Kontakt, summt man (sehr zum eigenen Entsetzen) in der telefonfreien Zeit das Liedchen vor sich hin. Was aber ganz sicher nicht dabei ist, ist eine Version, bei der man sich denkt: Hey, das gefällt mir! Könnte ich mir stundenlang anhören!

Nerven wie Drahtseile

Hat man den richtigen Ansprechpartner schließlich erreicht und wurde das Anliegen vielleicht nicht gelöst, aber doch wenigstens ausführlich besprochen, geht es noch weiter. Schließlich reicht es nicht, dass man „aus Gründen der Servicequalität“ zuvor einer Aufzeichnung des Gesprächs zugestimmt hat (≙ 1 oder JAAAA!). Man wird außerdem gebeten, die vorangegangene Konversation zu bewerten. Wer dazu noch in der Leitung bleibt, hat wirklich Nerven wie Drahtseile.

 

Hej, du!

27. September 2022

Früher gab’s das nur bei Ikea. Inzwischen (leider) immer öfter: Ich werde als Kunde geduzt. Muss das sein? Prinzipiell bin ich ein Freund des Dus. Gerne biete ich es an oder nehme es an, wenn ein direkter Kontakt zur jeweiligen Person besteht und mir diese sympathisch ist – sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext. Von einem Unternehmen erwarte ich mir aber respektvolle Distanz.

Wert und Wertschätzung

Wenn ich ein Produkt kaufe oder eine Dienstleistung in Anspruch nehme, investiere ich Geld und schenke Vertrauen. Ich möchte, dass dies auch honoriert wird: mit einem wertschätzenden Umgang. Wenn ich als Kunde ungefragt geduzt werde, erzeugt das eine Pseudo-Nähe, die ich als übergriffig empfinde. Dieses Gefühl beeinflusst mein Bild des Unternehmens: Es bekommt einen billigen Touch und ich fühle mich nicht ernst genommen.

Okay und No-Go

Um noch einmal mein Beispiel aufzugreifen: Bei Ikea ist das nicht so schlimm (wenn auch nervig, vor allem am Telefon), weil es zum Image passt. Bei einem Finanzdienstleister ist es unangemessen. Ebenso bei einem Unternehmen, das ein hochpreisiges Angebot hat. Der Versuch, sich mit einem Du einen jüngeren Anstrich zu geben, ist meist krampfhaft und manchmal sogar zum Fremdschämen. So hat unter anderem XING wegen des Wechsels von Sie auf Du Minuspunkte kassiert – zumindest von mir.

Wenn schon, denn schon

Entscheidet sich ein Unternehmen dennoch für ein Du, sollte es diese Kundenansprache durchgängig verwenden. Mischt es Du und Sie, ist das Corporate Wording widersprüchlich und somit auch die Corporate Identity. Selbst eine unterschiedliche Ansprache nach Alter sehe ich kritisch. Gibt es Kunden erster und zweiter Klasse? Wie alt muss man sein, um sich ein Sie zu verdienen? Was tun, wenn die Zielgruppe sich in einer Übergangsphase vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenen befindet? Ebenso fraglich ist die Unterscheidung nach Medium: Wenn ich Kunden in der Kommunikation grundsätzlich sieze, sollte ich sie in den sozialen Medien nicht auf einmal duzen. Das wirkt befremdlich.

Old School oder New Trash?

Vielleicht gehöre ich mit meiner ablehnenden Haltung zu einer aussterbenden Spezies. Der Trend, sich immer mehr dem angelsächsischen Sprachraum anzupassen, ist unaufhaltsam. Aber auch im Englischen wird in der Ansprache unterschieden. Es gibt zwar kein Sie, doch die respektvolle Distanz wird durch höfliche Ausdrucksformen geschaffen. Das müssen wir Deutschen vielleicht erst noch lernen. Ich für meinen Teil hoffe, dass das Sie nicht komplett verschwindet.

Gebt zu, dass ihr uns braucht!

14. September 2022

Das Tolle am Texterdasein ist, dass wir oft unserer Zeit voraus sind: Wir beschreiben Produkte, die es noch nicht zu kaufen gibt. Wir bewerben Dienstleistungen, die erst Monate später angeboten werden. Wir wissen von Events, die erst in ferner Zukunft stattfinden. Wir kreieren Claims und verfassen Image-Texte für Unternehmen, die erst im Entstehen sind, oder taufen sie sogar. Kurz: Wir sind die Hüter unzähliger Geheimnisse – kleiner wie großer. Eine ebenso spannende wie verantwortungsvolle Aufgabe.

Es muss nicht jeder alles können

Manchmal arbeiten wir sogar im Geheimen, wenn alles schon längst bekannt ist. Das ist zwar immer noch verantwortungsvoll, aber etwas befremdlich. Es scheint fast so, als ob manche Unternehmen sich schämen, dass sie ihre Texte nicht selber schreiben. Aber liebe Leute, das ist doch nicht peinlich! Es ist vernünftig, wenn man jemand anderen beauftragt, der diesen Job besser machen kann. Baut ihr eure Autos etwa selbst zusammen? Vermutlich nicht. Weil es sehr lange dauern würde und das Ergebnis unbefriedigend wäre (Parallelen dürfen gerne gezogen werden …).

Verkauft, aber nicht verraten

Manchmal sind es die Agenturen, die sich nicht in die Karten schauen lassen wollen. Auch euch will ich sagen: Es ist keine Schande, Freelancer zu beauftragen. Im Gegenteil: Es zeigt, dass ihr versteht zu haushalten. Ihr habt mehr Aufträge, als eure Festangestellten stemmen können, aber nicht genug, als dass sich die Einstellung eines weiteren Texters (Grafikers, Beraters, etc.) lohnen würde. Ihr saugt also weder eure Mitarbeiter bis auf den letzten Tropfen aus, noch bezahlt ihr sie fürs Däumchendrehen. Alles richtig gemacht!

So haben alle etwas davon

Die Einsparung bei den Fixkosten gebt ihr an eure Kunden weiter. Alle wissen, woran sie sind, und fühlen sich wohl dabei – und wir Freelancer müssen unsere schönen Referenzen nicht mehr in der Schublade verstecken!

 

Auch Schlechtes hat sein Gutes!

1. Juli 2022

Eine negative Erfahrung kann auch 22 Jahre später noch positive Auswirkungen haben. Denn so lange ist es her, dass ich in einer bestimmten Agentur als CD Text gearbeitet habe. Ihr braucht nicht in meiner Vita nachzusehen – sie taucht dort nicht auf. Ich habe noch in der Probezeit gekündigt, weil die Arbeitsbedingungen unerträglich waren. Was aber alleine am Inhaber lag und nicht an meinen Kollegen. Womit wir zu den positiven Auswirkungen kommen: Ich arbeite heute noch mit mehreren von ihnen zusammen – und zwar mit großer Freude! Leider darf ich hier keine Namen nennen, weil sich sonst Rückschlüsse auf die Agentur ziehen lassen. Aber ihr Lieben wisst schon, dass ihr gemeint seid, oder? Außerdem hat mir dieser Fehltritt den letzten Schubs gegeben, um mich selbständig zu machen. Und das war definitiv eine gute Entscheidung!

 

Muss das sein?

1. Juni 2022

 

Jeden Tag werde ich in den Nachrichten mit Horrorszenarien beballert. Alles geht angeblich so dermaßen den Bach runter, dass man sich wundert, dass man in der Früh noch aufwacht. Ja, es passieren aktuell viele schreckliche Dinge, die einem Angst machen können. Über diese darf und muss man sogar berichten. Was aber nicht sein muss, ist ständig den Teufel in den schrillsten Farben an die Wand zu malen. Will der Großteil der Menschen so etwas lesen? Möchten sie alle Worst-Case-Szenarien durchspielen, damit sie nachher sagen können: Puh, soooo schrecklich war es ja doch nicht?

Mut zu gesundem Optimismus

Ich für meinen Teil habe das gründlich satt. Die Artikel, die ganz offensichtlich nur der Panikmache dienen, klicke ich gar nicht erst an und blende die Überschriften mental aus (Die Erfahrung zeigt, dass die reißerischen Teaser meist das Schlimmste am Artikel sind). Wenn etwas passiert, dann passiert es, auch ohne dass ich mir vorher (vielleicht völlig unnötig) einen Kopf darüber gemacht habe. In meinen Augen ist das gesunder Optimismus.

Einmal am Tag reicht völlig

Je weniger Nachrichten ich lese, desto besser geht es mir. Dies schreibe ich, nachdem ich mich doch dazu habe hinreißen lassen und jetzt einen Knoten im Magen habe. Vor Wut. Also, liebe Leute: Ihr müsst euch nicht stündlich über das aktuelle Geschehen informieren. Einmal am Tag reicht, um sich einen Überblick zu verschaffen. Maus (oder Finger) weg von Artikeln, denen man schon auf den ersten Blick ansieht, dass sie Panik-Clickbait sind. Wenn die Welt untergeht, dann merkt ihr das schon rechtzeitig und bis dahin genießt euer Leben!

Liebe Ungeimpfte!

8. Dezember 2021

Ihr seid immer noch ganz schön viele. Von daher könnt ihr nicht alle Exzentriker oder Extremisten sein. Sondern zu großen Teilen ganz „normale“ Menschen, mit denen man ganz normal reden kann. Was zugegebenermaßen schwerfällt, weil wir Geimpften langsam etwas ungeduldig werden. Wir haben so darauf gehofft, dass diese Pandemie jetzt endlich vorbei ist. Doch wir stecken immer noch mittendrin. Das ist nicht alleine eure Schuld. Die Politik hat auf vielen Ebenen versagt. Aber wir hätten bessere Chancen gehabt, wenn ihr euch hättet impfen lassen.

Ihr werft uns gerne vor, dass wir bei unserer Impfung in erster Linie an uns selbst gedacht haben. Weil wir nicht krank werden oder uns einschränken wollten. Das ist richtig. Aber in erster Linie bedeutet eben nicht nur. Wir haben auch an unsere Partner und Kinder gedacht, die wir nicht anstecken wollen. Und an unsere Eltern, die aufgrund ihres Alters besonders gefährdet sind. Wir haben an Freunde und Bekannte gedacht, die vielleicht nicht so widerstandsfähig sind wie wir selbst. Wenn wir krank werden, gefährden wir alle Menschen, die uns lieb und wichtig sind.

Unsere Impfung kann dieses Risiko nicht eliminieren. Aber sie kann es deutlich reduzieren. Wenn wir diese Möglichkeit haben, dann sollten wir sie nutzen. Je weniger sich infizieren, desto weniger werden krank oder sterben. Hinter der Zahl, die wir jeden Tag in den Nachrichten hören oder lesen, stecken Menschen, denen ihre restliche Lebenszeit genommen wurde. Menschen, die von vielen geliebt wurden und jetzt schmerzlich vermisst werden.

Ihr könnt euch nicht darauf verlassen, dass es euch schon nicht treffen wird. Das haben vermutlich die meisten gedacht, die es dann doch erwischt hat. Und selbst, wenn eure Infektion glimpflich ausgeht, setzt ihr andere bewusst einer Gefahr aus. In der jetzigen Situation auf seine eigene Entscheidungsfreiheit zu pochen, ist also streng genommen eine unterlassene Hilfeleistung.

Aber darauf will ich nicht zu sehr herumreiten. Denn ihr bekommt gerade an allen Ecken und Enden zu spüren, dass der Großteil der Menschen nicht so gut auf euch zu sprechen ist. Wird man zu sehr bedrängt, entwickelt man irgendwann eine Trotzreaktion, aus der man nur schwer wieder rauskommt. Ich kenne das auch von mir selbst. Da hilft es manchmal, einfach einen Moment innezuhalten und sich zu überlegen, warum man etwas kategorisch ablehnt. Oft wird man feststellen, dass es die falschen Gründe sind. Doch je mehr man sich verrannt hat, desto schwieriger wird es, über seinen Schatten zu springen.

Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn ihr jetzt eure Meinung ändert und euch doch noch impfen lasst. Ganz im Gegenteil: Es ist ein Zeichen von Stärke.

Eure Sandra

PS an die bereits doppelt Geimpften: Boostern nicht vergessen!

 

LinkedOut

18. Januar 2021

Letztes Jahr habe ich mich aus Neugier mehr mit LinkedIn beschäftigt. Zunächst war ich positiv überrascht. Es schien mir, als ob die Plattform das bunte Social-Media-Feeling etwas besser hinbekäme als XING, wo ich mich bisher hauptsächlich getummelt hatte. Denn dort sind die Posts und auch die Reaktionen darauf meist sehr mau bis nicht vorhanden. LinkedIn wirkte im Vergleich deutlich attraktiver. Darum fing ich an, Unternehmen zu folgen (gähn!) und selbst gezielt Leute zu kontaktieren, die mir interessant erschienen. Nicht, um auf diesem Weg Aufträge zu generieren. Sondern weil ich mir davon neuen Input und neue Inspiration erhoffte.

Nepper, Follower, Ghostposter

Eine Weile habe ich mich von den bunten Bildchen, Filmchen und schlauen Sprüchen tatsächlich neppen lassen. Irgendwann stellte ich aber fest, dass es immer nur die üblichen Verdächtigen waren, die etwas posteten und kommentierten. Das dafür in 150.000 Varianten, die im Endeffekt alle gleich banal und bedeutungslos waren. Bei manchen Personen fragte ich mich, ob sie überhaupt noch einer richtigen Arbeit nachgingen. Diese permanente Selbstdarstellung konnte ihnen dafür kaum Zeit lassen. Oder beschäftigen die professionellen LinkedIn-User eine Armee von „Ghostpostern“, damit sie hin und wieder etwas Produktives zustande bringen?

Klick auf die Tränendrüse

Die angesprochene Belanglosigkeit galt für das Gros der Beiträge. Besonders perfide waren aber die „authentischen“, persönlichen Posts. Zuerst war ich be- und gerührt, dass jemand hier so offen über sein Privatleben schrieb. Und dann ging mir auf, wie armselig das eigentlich war. Denn entweder setzte der Betreffende diese intimen Details bewusst auf Business-Ebene ein, um möglichst viele Interaktionen zu bekommen. Oder er postete aus einem echten inneren Bedürfnis heraus. Was nichts anderes hieß, als dass er niemanden hatte, mit dem er sich darüber austauschen konnte. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

Mein Fazit nach diesem kurzen Intermezzo: LinkedOut! Ich bleibe pro forma Teil des Netzwerks, werde mich aber nicht weiter daran beteiligen. Da vergeude ich meine Zeit doch lieber auf Facebook …