Konzeption & Text. Sandra Cremer




Hej, du!

27. September 2022

Früher gab’s das nur bei Ikea. Inzwischen (leider) immer öfter: Ich werde als Kunde geduzt. Muss das sein? Prinzipiell bin ich ein Freund des Dus. Gerne biete ich es an oder nehme es an, wenn ein direkter Kontakt zur jeweiligen Person besteht und mir diese sympathisch ist – sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext. Von einem Unternehmen erwarte ich mir aber respektvolle Distanz.

Wert und Wertschätzung

Wenn ich ein Produkt kaufe oder eine Dienstleistung in Anspruch nehme, investiere ich Geld und schenke Vertrauen. Ich möchte, dass dies auch honoriert wird: mit einem wertschätzenden Umgang. Wenn ich als Kunde ungefragt geduzt werde, erzeugt das eine Pseudo-Nähe, die ich als übergriffig empfinde. Dieses Gefühl beeinflusst mein Bild des Unternehmens: Es bekommt einen billigen Touch und ich fühle mich nicht ernst genommen.

Okay und No-Go

Um noch einmal mein Beispiel aufzugreifen: Bei Ikea ist das nicht so schlimm (wenn auch nervig, vor allem am Telefon), weil es zum Image passt. Bei einem Finanzdienstleister ist es unangemessen. Ebenso bei einem Unternehmen, das ein hochpreisiges Angebot hat. Der Versuch, sich mit einem Du einen jüngeren Anstrich zu geben, ist meist krampfhaft und manchmal sogar zum Fremdschämen. So hat unter anderem XING wegen des Wechsels von Sie auf Du Minuspunkte kassiert – zumindest von mir.

Wenn schon, denn schon

Entscheidet sich ein Unternehmen dennoch für ein Du, sollte es diese Kundenansprache durchgängig verwenden. Mischt es Du und Sie, ist das Corporate Wording widersprüchlich und somit auch die Corporate Identity. Selbst eine unterschiedliche Ansprache nach Alter sehe ich kritisch. Gibt es Kunden erster und zweiter Klasse? Wie alt muss man sein, um sich ein Sie zu verdienen? Was tun, wenn die Zielgruppe sich in einer Übergangsphase vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenen befindet? Ebenso fraglich ist die Unterscheidung nach Medium: Wenn ich Kunden in der Kommunikation grundsätzlich sieze, sollte ich sie in den sozialen Medien nicht auf einmal duzen. Das wirkt befremdlich.

Old School oder New Trash?

Vielleicht gehöre ich mit meiner ablehnenden Haltung zu einer aussterbenden Spezies. Der Trend, sich immer mehr dem angelsächsischen Sprachraum anzupassen, ist unaufhaltsam. Aber auch im Englischen wird in der Ansprache unterschieden. Es gibt zwar kein Sie, doch die respektvolle Distanz wird durch höfliche Ausdrucksformen geschaffen. Das müssen wir Deutschen vielleicht erst noch lernen. Ich für meinen Teil hoffe, dass das Sie nicht komplett verschwindet.