Konzeption & Text. Sandra Cremer



Und wie gefällt’s dir in Berlin?

29. Februar 2024

Illustration von Berlin

Fast neun Monate sind seit meinem Umzug nach Berlin vergangen. Zeit für eine Zwischenbilanz. Auch wenn ich die Stadt vorher schon gut kannte, ist es doch etwas anderes, tatsächlich hier zu leben. Meine subjektiven und unvollständigen Erfahrungen und Erkenntnisse von A bis Z:

Arzt

Krank sein oder werden sollte man in Berlin besser nicht. Facharzttermine sind rar. Dass man mehrere Monate darauf warten muss, ist eher die Regel als die Ausnahme. Es sei denn, man ist Privatpatient, was ich glücklicherweise bin.

BVG

Sie ist bei weitem nicht so schlecht wie ihr Ruf. Ja, es gibt immer wieder scheinbar endlose Baustellen. Trotzdem kommt man immer überall hin. Weniger schön: das Betteln in den Zügen. Mittlerweile bin ich ein Meister im Durch-die-Leute-Schauen. Wer Blickkontakt riskiert, ist das nächste „Opfer“ (siehe auch Elend).

Kleiner Nachtrag: Heute und morgen wird gestreikt 😉

Clans

Mit Clans hatte ich bisher keine bewussten Berührungspunkte. Wobei mich doch bei dem ein oder anderen Geschäft der Verdacht beschlichen hat, dass es in erster Linie der Geldwäsche dient. Aber da ist vielleicht die Fantasie mit mir durchgegangen. Klar gibt es Viertel mit Clan-Kriminalität. Allerdings muss man da ja nicht unbedingt hin (siehe Gefahr).

Dreck

Was Dreck anbetrifft, muss man seine Schmerzgrenze nach oben verschieben. Wobei ich sagen muss: Das gilt inzwischen wohl für die meisten Großstädte. Auch München ist längst nicht mehr so sauber, wie es mal war. In der bayerischen Landeshauptstadt gibt es einen negativen Trend. In der Bundeshauptstadt war es früher noch schlimmer. Als es noch keine Hundekotbeutel gab, waren die Grünstreifen an den Straßenrändern so vermint, dass man keinen Schritt darauf setzen konnte.

Elend

Dass es in Berlin viel Armut und Elend gibt, wusste ich schon vorher. Aber wie schlimm es teilweise ist, hat mich doch erschreckt. Anfangs. Man kann nicht immer Mitleid haben. Und man kann nicht jedem, der es nötig hätte, Geld in die Hand drücken. Abgesehen davon ist es fraglich, ob das überhaupt sinnvoll ist. Also hilft nur Abstumpfen (siehe BVG).

Falafel

Falafel kann man drei Monate lang jeden Tag essen. Danach reicht aber einmal pro Woche. Sogar 14-tägige Pausen sind auszuhalten. Meine Empfehlung: Darauf achten, dass die Falafel frisch gemacht werden (keine Tiefkühlkost). Ein Riesenunterschied! Meine Lieblinge: Zaim Falafel und La Corniche.

Gewalt

Ich hatte in diesem Dreivierteljahr kein Erlebnis, das ich als gefährlich eingestuft hätte. Das kann man natürlich nicht verallgemeinern. Es gibt hier Gewalt, sonst stünde davon nichts in der Zeitung. Aber es ist bei weitem nicht so wild, wie Nichtberliner oft denken. Und selbst einen Spaziergang im Görlitzer Park kann man überleben.

Handel

In meinem Viertel kann man einkaufen bis zum Umfallen. Die Zahl der Lebensmittelläden ist so hoch, dass ich mich frage, wie sie sich parallel halten können. Ich muss allerdings anmerken, dass mein Viertel zwar das kleinste, aber das am dichtesten besiedelte Berlins ist. Unbedingt erwähnt gehören die Spätis: geilste Erfindung ever!

Ideal

„Ich fühl mich guuut … Ich steh auf Berlin.“ Das Berlin, das Ideal besungen hat, war noch ein anderes, weil vor dem Mauerfall. Ich mochte Berlin damals schon und mag es heute noch. Und die ganzen Berlins dazwischen haben mir auch gefallen – jedes auf seine Art. Berlin ist einfach meine Stadt!

Juhu!

Ich freue mich jeden Tag aufs Neue, hier zu sein! (siehe Ideal)

Kanalisation

Im Sommer muss man manchmal tapfer sein. Die Gerüche aus der Kanalisation sind, nun ja, gewöhnungsbedürftig. Einfach die Luft anhalten, an Blumenwiesen denken und durch!

Luft

(siehe Kanalisation)

Multikulti

An vielen Orten trifft man mehr Menschen aus anderen Ländern als gebürtige Berliner. Wo ich zum Bouldern gehe, hört man am meisten Englisch, dann Spanisch und dann erst Deutsch. In meinem Aikido-Training tummeln sich Leute aus Italien und Japan, aus Kirgisien, Litauen, Polen und Russland, aus Thailand und seit kurzem auch aus Uruguay. Den Rest hat es aus allen Teilen Deutschlands angeschwemmt – so wie mich. Okay, ein paar wenige „echte“ Berliner gibt es auch. Die restlichen Nationalitäten sind natürlich im Straßenbild ebenfalls vertreten. Wer es ganz genau wissen möchte, der schaue hier nach.

Nachtleben

(siehe Party)

Ostberlin

Auch wenn Berlin nicht mehr geteilt ist: Die Teilung der Stadt gibt es gefühlt immer noch. Den an den Westen angrenzenden ehemaligen Ostbezirken merkt man das nicht mehr so an. Aber selbst ich habe ganz klar vor meinem geistigen Auge, wo früher die Mauer verlief. Ich gehe jedoch davon aus, dass dieser Blick mit meiner Generation aussterben wird.

Party

Ich bin nicht mehr in dem Alter, wo ich jeden Tag Party machen muss. Aber wenn ich Lust habe, gibt es Möglichkeiten noch und nöcher. Vor allem, wenn man über den eigenen Stadtteilrand hinausschaut, kann man feiern, solange man durstig und lustig ist. Und so ziemlich jede Band, die in Deutschland spielt, kommt nach Berlin. Konzerttechnisch ist also einiges geboten. Das Gleiche gilt für Kulturveranstaltungen aller Art.

Querdenker

Hier demonstriert jeden Tag irgendjemand für irgendetwas. Am Wochenende sind es so viele verschiedene Gruppierungen, dass sie sich um die besten Plätze kloppen müssen.

Restaurants

Besonders in meinem Viertel (aber auch in vielen anderen) reiht sich Restaurant an Restaurant und es gibt nichts, was es nicht gibt. In Sachen Essen gehen ist Berlin unschlagbar. Es ist nicht mehr so billig wie vor 2+ Jahren. Aber wie auch? Schließlich ist überall so ziemlich alles teurer geworden.

Schnee

Die weißen Flocken sind hier eine Seltenheit. War aber immer schon so. Ich vermisse den Schnee nicht.

Tage

Im Winter sind die Tage deutlich kürzer als in Bayern. Aber dafür im Sommer deutlich länger. Ausgleichende Gerechtigkeit.

U-Bahn

Die braucht einen eigenen Punkt. Denn sie fährt direkt unter unserem Haus, was sich durch Brummen und Vibrieren bemerkbar macht. Aber: Ich liebe das. Es hat so etwas Beruhigendes, wenn man weiß, dass die Welt noch „funktioniert“.

Verkehr

Im Vergleich zu München sind in Berlin die Autofahrer freundlich und langsam. Aber es gibt Ausnahmen. Die langen breiten Straßen laden einfach zu nächtlichen Autorennen ein.

Wohnen

Berlin hat noch lange keine Münchner Preise, aber es geht in diese Richtung. Ich weiß nicht, ob in irgendeiner anderen deutschen Stadt die Mieten prozentual so stark gestiegen sind wie hier. Vor allem aber gibt es Massen von Bewerbern für jede halbwegs vernünftige Wohnung. Ich bin froh, dass wir eine schöne gefunden haben, die noch bezahlbar ist.

X-Berg

Macht immer noch Spaß, in Kreuzberg auszugehen. Hier finden sich auch Urgesteine wie das SO36, das ich persönlich per Crowdfunding vor dem Untergang bewahrt habe!

Yak

Sogar einen Nepalesen habe ich ganz in der Nähe (Yak und Yeti). Aber leider immer noch nicht ausprobiert, weil es noch so viele Alternativen gibt (siehe Restaurants).

Zahnarzt

Ich stehe vor der Zahnarztpraxis. Es kommt einer mit dem Fahrrad vorbei und meint zu mir: „Scheiß auf den Zahnarzt! Komm lass uns saufen gehen!“ Dit is Berlin.

 

Sprachverliebt

8. Februar 2024

Leuchtreklame mit "LOVE"

Für viele ist Sprache nur Mittel zum Zweck. Für mich ist Sprache ein Spielplatz, auf dem es immer etwas Neues zu entdecken gibt.

Ich bin begeistert, wenn ich einen Ausdruck höre, den ich vorher noch nicht kannte. Wenn ich im Englischen ein Wort lese, für das es im Deutschen keine Entsprechung gibt, freue ich mich wie ein kleines Kind. Und wenn mir beim Schreiben wirklich peinliche Wortspiele einfallen, muss ich heimlich kichern. Ein Pumuckl-Gedicht hat für mich den gleichen Wert wie ein literarisches Werk.

Manchmal bin ich aber auch sehr spießig, was die Sprache angeht. Wenn jemand in einem Gespräch ein falsches Wort benutzt, kann ich nicht mehr zuhören, bis ich das richtige Wort gefunden habe. Wenn ich geschäftliche E-Mails mit vielen Fehlern lese, frage ich mich: Kannst du es wirklich nicht besser oder gibst du dir einfach keine Mühe? Bei Büchern oder Zeitschriften ist es noch schlimmer. Wenn ich in kurzer Zeit mehrere Fehler entdecke, kann ich den Text nicht weiterlesen, weil sich alles in mir dagegen sträubt.

Wie passt das zusammen? Das Verspielte und das Verspießte? Wenn man bewusst mit Konventionen bricht, kann das lustig und spannend sein. Wenn man es aber aus Unvermögen oder Nachlässigkeit tut, kann ich das nicht gutheißen.

Bevor jetzt Kritik auf mich einprasselt: Natürlich weiß ich, dass es viele Menschen gibt, die eine Lese-Rechtschreib-Schwäche haben oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Aber wenn man mit Schreiben seinen Lebensunterhalt verdient, sollte man das schon können. Leider erlebe ich oft das Gegenteil.

PS: Foto von Shaira Dela Peña auf Unsplash

Wer will mich?

9. Januar 2024

Traurig blickender Mops

Meinen Umzug nach Berlin haben alle schnell registriert und akzeptiert. Sagte ich alle? Na ja, nicht ganz. In den Finanzämtern mahlen die Mühlen etwas langsamer. Nicht nur in Berlin. Sondern auch in Bayern.

Das Finanzamt Miesbach weigert sich seit gut einem halben Jahr beharrlich, meine Adressänderung anzuerkennen. Trotz mehrfacher Briefe, E-Mails und Telefonate gehen alle Schreiben an meine alte Adresse. Ich habe die Hoffnung, dass die Beamten inzwischen ihren Abschiedsschmerz überwunden haben. In letzter Zeit kommt nichts mehr. Das kann aber auch daran liegen, dass der Nachsendeauftrag abgelaufen ist.

Das Finanzamt Berlin wiederum will mich partout nicht als neuen Steuerzahler haben. Alle Versuche, eine neue Steuernummer zu bekommen, sind kläglich gescheitert.
Hier hilft nichts anderes, als noch sturer zu sein als die Ämter. Das bin ich gewohnt. Als ich von Baden-Württemberg nach Bayern gezogen bin, hatte ich das Gezeter schon einmal. Wenn ich mich recht erinnere, hat es damals fast zwei Jahre gedauert, bis mich das System richtig eingeordnet hatte.

Nun bin ich ein geduldiger und verständiger Mensch. Aber leider brennt es mir jetzt ein bisschen unter den Nägeln. Denn ich brauche dringend eine Ansässigkeitsbescheinigung. Das Problem: Diese Bescheinigung muss mein zuständiges Finanzamt ausstellen, und auf dem Formular muss ich neben meiner Steuer-ID auch meine Steuernummer eintragen.

Zunächst rufe ich beim Berliner Finanzamt an und schildere den Sachverhalt. Eine nette Dame versichert mir, dass sie gerne einen Stempel auf mein Formular setzt und ich einfach meine alte Steuernummer eintragen soll. O-Ton: Das merkt doch keiner, dass das keine Berliner Steuernummer ist. Außerdem teilt sie mir mit, dass das Finanzamt Miesbach ihr noch keine Unterlagen geschickt hat und sie mir deshalb keine neue Steuernummer geben kann.

Also rufe ich beim Finanzamt Miesbach an, um ein bisschen Dampf zu machen. Dort erfahre ich, dass ich in Miesbach nicht mehr geführt werde – ein Fortschritt! Nur leider ist die bayerische Dame der Meinung, dass sie erst eine Steuernummer aus Berlin bekommen muss, bevor sie meine Unterlagen verschickt. Außerdem ist sie eher skeptisch, was die Angabe einer nicht mehr existenten Steuernummer angeht.

Da die Zeit drängt, verlasse ich mich auf die Aussage der Dame in Berlin. Doch dann komme ich ins Grübeln: In 5 Wochen ist Stichtag. Ich muss das Formular an das Berliner Finanzamt schicken, die das Formular an mich und ich das Formular an meine Bank. Drei Postwege – das kann nicht gut gehen! Kürzlich habe ich einen Brief bekommen, der gute 4 Wochen unterwegs war. Und ich glaube, der Schnitt liegt inzwischen bei 1 Woche.

Um einen der Postwege zu sparen, bringe ich den Brief also persönlich im Finanzamt vorbei. Am liebsten würde ich ihn direkt der zuständigen Dame geben (wer weiß, wie lange die Hauspost dauert?), aber man lässt mich nicht passieren.

Wie die Geschichte ausgeht? Ich stecke noch mittendrin. Meine Sachbearbeiterin ist krank und niemand kann mir Auskunft geben …

I’ll keep you posted!

 

Foto von charlesdeluvio auf Unsplash