Konzeption & Text. Sandra Cremer



Die meisten Leute

20. Dezember 2015

„Die meisten Leute feiern Weihnachten, weil die meisten Leute Weihnachten feiern.“

(Kurt Tucholsky)

Wenn Sie zu den meisten gehören, wünsche ich Ihnen eine schöne Zeit. Wenn nicht, dann auch.

Technische Entmündigung

25. November 2015

kalkUmzugsbedingt habe ich Bekanntschaft mit verschiedenen neuen Küchengeräten gemacht. Nach der ersten Freude kam die schreckliche Erkenntnis: Sie wollen mich alle entmündigen! Mein Kochfeld fängt an zu piepsen, wenn der Topf nicht exakt im vorgesehenen Kreis steht. Wenn ein paar Tropfen Nudelkochwasser darauf fallen, schaltet es sich gleich komplett aus und lässt sich nur äußerst widerwillig wieder anschalten. Einleuchtend: Schließlich bin ich ständig darauf erpicht, meine Wohnung abzufackeln und dies muss mit allen Mitteln verhindert werden.

Mein Backofen stellt sich eher im mechanischen Sinne quer: Blech und Rost lassen sich nur mit einer speziellen Wipptechnik herausziehen. Die Bedienungsanleitung verriet mir, dass dies der Vermeidung von Unfällen diene, die durch versehentlich vollständig herausgezogene Backbleche verursacht werden. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann mich nicht daran erinnern, vor dieser Erfindung mit Schwung Pizzas durch die Gegend geschleudert oder fettig blubbernde Aufläufe über meine Füße vergossen zu haben.

Kommen wir zu meinem Geschirrspüler: Auch dieser fängt an zu piepsen. Aber nur, wenn er fertig ist. Dafür aber umso penetranter. Und er hört nicht eher auf, als bis man hingeht und die Türe öffnet. Ich kann mich an Zeiten erinnern, wo ich ganz ohne akustische Unterstützung freiwillig meinen Geschirrspüler ausgeräumt habe. Nicht erst nach Tagen oder gar Wochen, sondern relativ zeitnah nach Beendigung des Programms.

Mein neuester und größter Feind ist meine Kaffeemaschine. Diese wartet gleich mit zwei technischen „Finessen“ auf: Erstens schaltet sie sich nach einer gewissen Zeit (max. 60 min.) selbständig ab. Will heißen, auch die Warmhalteplatte. Immer wieder ein Anlass zur Freude, wenn man vor dem zwar frischen, aber leider nur noch lauwarmen Kaffee steht. Aber auch hier geht die Gefahrenvermeidung vor: Lieber kalter Kaffee als brennende Wohnung. Die Bedienungsanleitung argumentiert hier allerdings mit dem geringeren Stromverbrauch und dem besseren Kaffeearoma. Wer’s glaubt …

Zweitens hat sie eine ganz großartige Leuchte, die mir sagt, wann ich sie zu entkalken habe. Diese leuchtete bereits nach 7 Tagen das erste Mal, was nicht meinem persönlichen Entkalkungsrhythmus entspricht. Es ist auch mitnichten so, dass die Maschine tatsächlich ihren Verkalkungsgrad messen könnte. Das Lichtlein leuchtet einfach in festen Intervallen auf. Nämlich immer genau nach 7 Tagen. Es geht auch erst aus, wenn man sie dann brav entkalkt, mit dem integrierten Entkalkungsprogramm. Inzwischen weiß ich aber, dass es reicht, klares Wasser durchlaufen zu lassen. Damit ist die Maschine völlig zufrieden. Das gibt mir wenigstens eine kleine Genugtuung.

Doch frage ich mich: Sind jetzt alle Geräte darauf ausgerichtet, „seniorensicher“ zu sein? Vielleicht kommt noch der Zeitpunkt, wo ich über diese Erfindungen froh bin. Wenn nicht ich, dann doch die Menschen, die ein ungutes Gefühl haben, mein gealtertes Ego mit gefährlichen Küchengeräten alleine zu lassen. Aber solange ich nicht so verkalkt bin wie meine Kaffeemaschine, würde ich ganz gerne selber entscheiden.

Aua!

15. Oktober 2015

ampelIch frage mich, welche Qualifikation man zur Ampelplanung braucht. Dieses Exemplar ist in Otterfing zu bewundern. Hübsch platziert exakt in der Mitte des Geh-/Radweges. Merke für Nachtfahrten: Gefahrenzone!

Bild hilft!

29. September 2015

föchingFalls Sie jetzt denken, es ginge um eine Aktion einer bekannten Boulevardzeitung – weit gefehlt! Bild hilft tatsächlich. Nämlich dann, wenn man online eine Kleinanzeige schaltet. Dabei ist es völlig egal, ob das Foto zu der gesuchten oder angebotenen Leistung/Ware passt. So habe ich vor kurzem dank dieser völlig nichtssagenden Landschaftsaufnahme innerhalb weniger Stunden eine Reinigungskraft gefunden. Tatsächlich hatte ich sogar die Wahl zwischen mehreren Bewerbern. Und nein: Am Text lag es diesmal ganz sicher nicht.

Freunde für einen Abend

20. September 2015
Copyright: Maren / www.pixelio.de

Copyright: Maren / www.pixelio.de

Wenn man wie ich im Münchner Raum wohnt, kann man sich ihr – zumindest gedanklich – nicht entziehen. Die Rede ist von der Wiesn. Als gebürtige Münchnerin sage ich selbstverständlich nicht Oktoberfest dazu.

Jedes Jahr (sofern ich mich nicht außerhalb der Grenzen des Freistaats aufhalte) gehe ich wieder in mich: Gebe ich mir heuer diesen Wahnsinn oder lasse ich es lieber bleiben? Bis jetzt tendiere ich eher gegen Nein. Aber heute ist ja erst der zweite Tag. Da kann man sich noch nicht so wirklich sicher sein.

Als Jugendlicher bzw. junger Erwachsener habe ich mir das nicht nehmen lassen. Ich kann mich an eine Wiesn erinnern, bei der ich an 13 Tagen vor Ort war. Dass ich an den restlichen Tagen gefehlt habe, lag nur daran, dass mein damaliger Freund „auch mal alleine hingehen wollte“. Das nehme ich ihm heute noch übel.

Inzwischen ist der Drang bei weitem nicht so stark und ich habe schon viele Wiesn komplett ausfallen lassen, obwohl ich in Reichweite war. Nicht, weil sie mir zu teuer geworden wäre, sondern weil man sich mental darauf einlassen muss. Man ist nicht immer in der Stimmung, sich zwischen Tausenden von bierseligen Menschen durchzuquetschen, von denen manche schon grün im Gesicht sind oder die Grünphase bereits hinter sich haben. Das Einzige, was hilft, ist auf schnellstmöglichem Weg das Augustinerzelt aufzusuchen und den Bierrückstand aufzuholen. Die erste Maß ist noch hart. Aber danach fühlt man sich besser.

Aber was ist denn nun das Besondere an der Wiesn? Biertrinken kann man ja überall und auch deutlich günstiger. Für mich ist es das Phänomen „Freunde für einen Abend“. Nirgendwo sonst kann man für wenige Stunden mit wildfremden Menschen zusammensitzen und Freundschaft schließen. Natürlich nur bis zum letzten Schluck. Dann trennen sich die Wege und vermutlich sieht man sich danach nie wieder. Aber macht ja nix. Schee wars trotzdem.

Sew a smile

8. September 2015

desktopEine Bekannte fragte mich vor kurzem, ob mir vielleicht ein guter Name für ein Projekt einfallen würde, das sie sich mit anderen ausgedacht hatte. Weil ich es für eine sehr schöne Idee halte, werde ich kurz davon berichten: Da die ankommenden Flüchtlinge unter anderem dringend Taschen benötigen, in denen sie ihre paar Habseligkeiten verstauen können, werden Rucksäcke genäht und gespendet. Um es möglichst einfach zu machen, haben die Initiatoren eine Nähanleitung ins Netz gestellt und eine Facebook-Gruppe gegründet (Klick auf Logo), in der man sich austauschen kann. Zum Beispiel dazu, ob jemand Stoff übrig hat oder einen Raum zur Verfügung stellen kann. Innerhalb von kürzester Zeit ist die Gruppe auf über 900 Mitglieder angewachsen und es wurden bereits zahlreiche lokale Untergruppen gebildet. Ich freue mich, dass ich mit dem Namen „Sew a smile“ etwas zum Erfolg beitragen konnte.

Die braune Suppe stinkt (mir)

17. August 2015

Ich hatte ursprünglich nicht vor, in diesem Blog verfängliche Themen aufzugreifen. Aber aus aktuellem Anlass muss ich eine Ausnahme machen. Mich erschreckt, was mir gerade in den sozialen Netzwerken für eine braune Suppe entgegenschwappt. Da werden ohne Sinn und Verstand Posts mit rechtsradikalem Hintergrund geteilt. Einfach nur aus einem spontanen Moment der Empörung heraus. Weil irgendwelche Geschichten, die (vielleicht) einen wahren Kern haben mögen, ins Maßlose übersteigert, aufgebauscht und dramatisiert werden. Ohne auch nur einen Augenblick darüber nachzudenken, was das auslöst. Bei Menschen, die sich durch solche „Nachrichten“ in ihrer Unsicherheit und ihrer Unzufriedenheit bestätigt fühlen und noch ein Stück weiter nach rechts rücken. Das Schlimme ist: Es sind nicht nur irgendwelche Neonazis im Nirgendwo, die einem diese Likes, Posts und Kommentare um die Ohren hauen. Es sind auch Leute darunter, die ich bisher für liebenswert und vernunftbegabt gehalten habe. Das gibt mir zu denken. Wenn solches Gedankengut schon in der bürgerlichen Mittelschicht angekommen ist und akzeptiert wird, dann ist das alarmierend. Darum mein dringender Appell: Bitte seid wachsam. Teilt nicht unüberlegt rechtspopulistische Hetze. Wenn ihr euch unsicher seid, ob vielleicht etwas Wahres dran ist: Recherchiert, woher diese Meldung kommt und was andere Quellen dazu sagen. Vielleicht vergeht euch schon die Lust zu teilen, wenn euch bewusst wird, wer der eigentliche Absender ist.

Warum mich dieses Thema gerade so beschäftigt? Zum einen ist es natürlich in den Medien omnipräsent. Zum anderen habe ich jetzt 48 neue Nachbarn, die gegenüber in einer kleinen Turnhalle wohnen. Stockbett an Stockbett. Spind an Spind. Nette junge Männer, die freundlich „Servus“(!) sagen, wenn man vorbeigeht. Die gerne Fußballspielen und Fahrradfahren und die trotz aller Beengtheit und fehlender Privatsphäre nicht ausflippen und gegenseitig mit dem Messer auf sich losgehen. Keine asozialen Schmarotzer und Psychopathen, wie die rechten Hetzer uns glauben machen wollen. Von diesen jungen Männern geht keinerlei Aggression aus. Aber drei von ihnen wurden vor kurzem einer versuchten Vergewaltigung beschuldigt. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für die einschlägigen Portale. Bald darauf stellte sich heraus, dass die junge Frau eine Falschaussage gemacht hatte. Die Geschichte war komplett erfunden. Nur darf man leider davon ausgehen, dass die Wahrheit nicht annähernd so die Runde gemacht hat wie die Lüge. Dabei hätte man schon bei den ersten Artikeln merken können, dass an dieser Sache etwas nicht stimmen konnte. Zum Glück hatte auch die Polizei starke Zweifel. Die jungen Männer sind wieder auf freiem Fuß. Aber das Stigma bleibt.

Meinen netten neuen Nachbarn widme ich diesen Artikel. Herzlich willkommen!

Griaß di, alte neue Heimat!

8. August 2015

2015-08-02 19.50.49 (800x449)Über einen Monat war hier Funkstille. Man mag es mir nachsehen: So ein Umzug bedeutet einfach einen Haufen Arbeit neben der, die man sowieso schon hat. Von nun an wird hier wieder mehr los sein. Versprochen. Zur Einstimmung aus der alten neuen Heimat ein erstes Bild. Die Weinberge werde ich vermissen, aber so ein Alpenpanorama hat schon auch was. Selbst wenn es von einer bescheidenen Smartphone-Kamera stammt.

Grüße aus dem 40 Grad heißen Umzugskarton

3. Juli 2015

umzugskartonEntschuldigung, lieber Blog. Ich habe dich vernachlässigt. Darf ich zu meiner Verteidigung vorbringen, dass ich viel zu tun hatte? Jetzt ist ohnehin Ausnahmezustand: Ganz Europa schwitzt und hier in der deutschen Toskana ist es immer noch ein paar Grad heißer. Noch dazu bin ich schon beim Einpacken. Die Umzugskartons türmen sich und man muss hier einen Zickzackkurs einschlagen, um von A nach B zu kommen. In 3 Wochen minus einem 1 Tag ist es dann soweit … Bis dahin: Viel trinken und nicht böse sein!

écriture automatique

15. Juni 2015

André Breton

Wer sich mit Surrealismus in der Literatur auskennt, wird diesen Begriff vielleicht schon einmal gehört haben. Für alle anderen: Nein, es ist keine französische Bezeichnung für eine Schreibmaschine. Sondern für eine Schreibtechnik. Man legt einfach drauf los. Ohne vorher zu überlegen. Ohne Rücksicht auf Orthografie, Interpunktion und sonstige Nebensächlichkeiten. Das Ganze eignet sich nicht nur, um seine Psyche zu ergründen, sondern auch um Schreibblockaden zu überwinden. Denn ist man erst einmal im Schreiben, verselbständigt es sich quasi. Nur aufhören darf man nicht. Gerät man ins Stocken, bricht man einfach ab und beginnt mit dem letzten Wort des letzten Satzes einen neuen Satz. Davon gibt es natürlich auch Varianten. Ich habe davon zuerst in der Schreibwerkstatt der Schweizer Schriftstellerin Milena Moser gehört. Übrigens eine unheimlich nette Frau. Wie ich gerade gegoogelt habe, bietet sie ihre Kurse leider nicht mehr an und ist nach Santa Fé ausgewandert. Na, sowas. Aber zurück zur écriture automatique – probieren Sie es doch einfach mal aus. Sie werden sehen: esfunktinert tatsähclich.

PS: Auf dem Bild sehen Sie übrigens André Breton, der die ursprünglich aus der Psychologie stammende Methode für das literarische Schreiben adaptiert hat.