Konzeption & Text. Sandra Cremer



„Ich habe mich hier angewurzelt …“

2. November 2018

Wer diesen Satz vervollständigen kann, gehört wie ich noch zur Generation Poesiealbum. Inzwischen sind diese leider von „Freundebüchern“ verdrängt worden. Die sind zwar sicher auch eine nette Erinnerung, aber ich finde durch die vorgegebenen Felder fehlt ihnen etwas der Charme. Ich wüsste heute wahrscheinlich nicht mehr, was einer meiner Grundschulfreunde als seine Lieblingsspeise genannt hat. Aber die netten, witzigen oder nachdenklichen Sprüche in meinem Poesiealbum weiß ich noch zu großen Teilen auswendig. Hier ein paar Kostproben in Originalschreibweise und -formatierung …

Da hätten wir zum Beispiel einen, für den der Schreiber heute vor ein Feminismusgericht gestellt werden würde:

„Wandle stets auf Rosen
Auf immergrüner Au
Bis einer kommt mit Hosen
Und nimmt dich dann zur Frau“

Dabei war das einer von der fröhlichen Sorte. Da gab es ganz andere Kaliber. Sehr beunruhigt hat mich dieser hier:

„Geh nie ohne Gruß und Wort
von deinen lieben Eltern fort
denn weißt es kann einmal
geschehen, daß sie dich nie wieder sehen“

Diesen hier fand ich irgendwie deprimierend (nicht wegen der Rechtschreibung):

„Sage nie das kann ich nicht,
vieles kannst du wilst die Pflicht,
schweres vordern lieb und Pflicht,
drum sage nie das kann ich nicht.“

Zum Glück gab auch weniger schwere Kost:

„Vom Zucker ein Häuschen
von Zimt die Tür
die Fenster von Bratwurst
das wünsch ich dir.“

Ob meine Freundin aus der 3. Klasse noch manchmal an mich denkt?

„Felsen können stürzen,
Berge untergehen,
aber dich vergessen,
würde nie geschehen.“

Fotos von sich selbst hat keiner meiner Freunde eingeklebt. Stattdessen sind die Seiten mit bunten Stickern und Zeichnungen verziert. Man sieht, dass sich alle große Mühe gegeben haben. Da wurden noch mit Bleistift und Lineal Linien gezogen, damit die Zeilen gerade werden. Ich schaue mir mein Album immer mal wieder an. Ob mein Sohn in ein paar Jahrzehnten wohl noch in seinem Freundebuch herumblättert? Ich habe da so meine Zweifel.

Ich hingegen habe verinnerlicht:

„Denk in Glück
und Seligkeit
auch an die ver-
gangenheit.“

PS: Und wer hat erkannt, zu welchem Spruch das Bild gehört?

Meine Selbständigkeit wird erwachsen

23. Juli 2018

Ich habe mich im Jahr 2000 selbständig gemacht. Also vor 18 Jahren. Und ich muss sagen, dass ich es keinen Tag bereut habe. Man muss natürlich mit einer gewissen Unsicherheit leben, wenn man kein festes Einkommen hat. Aber die Vorteile überwiegen doch bei weitem: Ich kann mir meine Arbeitszeit frei einteilen, ich kann (was zum Glück sehr selten vorkommt) einen Job ablehnen, der mir als moralisch fragwürdig erscheint, und vor allem habe ich sehr viel Abwechslung.

Wie alles anfing

Heute will ich einmal erzählen, wie alles angefangen hat: Nach gut 3,5 Jahren in einer Agentur realisierte ich, dass ich dort nicht weiterkommen würde. Ich hatte in dem Laden eine tolle Zeit mit supernetten Kollegen, aber mir reichte es einfach. Darum nahm ich eine Stelle als Text-CD in einer Münchner Agentur an. Dort war es allerdings (chefbedingt) so furchtbar, dass ich noch in der Probezeit aufhörte. Der Name der Agentur spielt keine Rolle. Sie erscheint nicht in meiner Vita und außerdem gibt es sie inzwischen nicht mehr (Oh, Wunder!). Mit einigen der Kurzzeit-Kollegen habe ich aber heute immer noch guten Kontakt.

Besser als im Bilderbuch

Meine beste Freundin und Grafikkollegin hatte zur selben Zeit wie ich bei meiner Ex-Ex-Agentur gekündigt und sich selbständig gemacht. Da wir immer sehr gut und sehr gerne zusammengearbeitet hatten, lag der Gedanke nahe, sich als freies Grafik-Text-Team aufzustellen. Wir legten einen grandiosen Start hin. Zuerst arbeiteten wir bei meiner Freundin zuhause. Doch schon nach kurzer Zeit konnten wir uns ein (etwas überdimensioniertes) Büro leisten. Da die Agentur, in der wir beide gearbeitet hatten, fast ausschließlich IT-Kunden betreute, ging es natürlich entsprechend weiter. Leider erwischten uns dadurch die Auswirkungen des Platzens der Dotcom-Blase mit voller Wucht. Wir waren gezwungen, in völlig neuen Branchen zu akquirieren. Dies erwies sich im Nachhinein betrachtet als Glücksfall. Denn eigentlich war es nicht besonders spannend, die x-te IT-Firma zu betreuen. Aus diesem Grund habe ich heute Kunden aus den unterschiedlichsten Bereichen, was einfach mehr Spaß macht.

Von der Mini-Agentur zum beruflichen Single

Aus unserer „Mini-Agentur“ stieg ich nach zwei Jahren aus privaten Gründen aus. Die Freundschaft besteht aber heute noch. Zeitweise startete ich einen neuen Versuch als Grafik-Text-Team mit meinem damaligen Lebenspartner. Nur so viel dazu: Ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass man nicht mit seinem Partner zusammen arbeiten sollte ;-) Seit 2007 bin ich also als „beruflicher Single“ unterwegs, was mir persönlich die liebste Variante ist. So kann man wirklich alle Freiheiten des Freelancer-Daseins genießen, ohne auf jemand anders Rücksicht nehmen zu müssen. Trotzdem denke ich gerne an die Zeit als Mini-Agentur zurück. Sie war sehr spannend. Aber auch anstrengend. Denn damals war für uns jeder Änderungswunsch des Kunden ein absolutes Drama. Wir kämpften wie die Löwinnen für unsere Werke, weil sie ja in unseren Augen die beste Lösung waren. Heute sehe ich das deutlich entspannter. Ich weise zwar noch darauf hin, wenn ich etwas nicht sinnvoll finde, aber nicht mit dieser Vehemenz. Und schon gar nicht fasse ich Korrekturen als persönlichen Affront auf. Man muss sich einfach daran gewöhnen, dass nicht jeder so tickt, wie man selbst. Und dass so mancher junge Ansprechpartner selber seine (schlechten) Erfahrungen machen muss. Wobei es nicht nur die Jüngeren sind, die sich mitunter als beratungsresistent erweisen. So kann es eben auch passieren, dass ich mir denke: Lieber Kunde, du möchtest also unbedingt Mist? Dann bekommst du Mist. Allerdings 1a, versteht sich. Sei‘s drum. Diese Kunden bleiben ohnehin nicht lange (auf dem Markt) …

Des Textors Handwerkszeug

10. Januar 2018

2018-01-10 15.54.01Viele lange Jahre lag „Sag es treffender“ von A. M. Textor immer griffbereit auf meinem Schreibtisch. Viele Denkanstöße habe ich diesem wunderbaren Buch zu verdanken. Aber leider hat ihm das Internet inzwischen den Rang abgelaufen. Nun tummle ich mich auf den einschlägigen Websites, die zwar sehr praktisch sind, aber nicht diesen Blätter-Charme haben. Auch der Wahrig sowie das Fremdwörterlexikon, das Bedeutungswörterbuch und das Wörterbuch der Redewendungen von Duden stauben inzwischen im Regal vor sich hin. Zu Letzteren habe ich aber nicht annähernd eine so innige Beziehung wie zu meinem Textor. Denn der ist gute alte Texterschule aus Zeiten, als es noch gar keine Texterschulen gab. Seufz.

Immer schön manierlich!

30. Dezember 2014

gartenlaube

So hübsch gesittet ging es zu an Silvester Ende des 19. Jahrhunderts. Zumindest, wenn man diesem Bild aus „Die Gartenlaube“ von 1885 Glauben schenken darf. Übrigens das erste große deutsche Massenblatt, der Vorläufer der heutigen Illustrierten (in ihren Hochzeiten soll sie von bis zu fünf Millionen Menschen gelesen worden sein). Nun auch dieser Vorläufer wird wohl schon mehr Schein als Sein präsentiert haben. Wenn man hin und wieder einen Arzt oder einen Friseur besucht, ist man über derlei Blätter ja bestens informiert. Vielleicht nicht topaktuell, aber wenn man nicht aufs Datum sieht, fällt das kaum auf. Die Menschen und die Themen bleiben immer die gleichen.

Lassen Sie sich also nicht aus der Fasson bringen, wenn Ihre Silvesterparty nicht ganz so kontrolliert abläuft. Ich bin mir sicher, früher haben sie es auch richtig krachen lassen. Nur da gab es eben noch keine Smartphones …

Geht’s noch?

26. November 2014

briefNur mit Hängen und Würgen. Das Schreiben meine ich. Nein, nicht auf der Tastatur. Von Hand. Haben Sie in der letzten Zeit einmal versucht, einen längeren Text mit der Hand zu schreiben? Dann sind Sie vermutlich daran verzweifelt. So wie ich. Denn wann schreibt man denn mal nicht am Rechner, Tablet oder Smartphone? Ja, sicher, wenn man sich schnell etwas notiert. In einem Telefonat oder in einer Besprechung. Oder wenn man sein kleines privates Brainstorming veranstaltet.

Aber wenn ich ehrlich bin: Das kann kein Mensch außer mir lesen. Und selbst ich habe damit manchmal meine liebe Not. Aber ist es nicht traurig, dass man sich so mühsam das Schreiben beigebracht hat und es jetzt kläglich verkümmert und zum reinen Tastenhämmern und Touchscreenpatschen verkommt? Ich für meinen Teil werde versuchen, ab sofort hin und wieder einen hübsch leserlichen Text zu verfassen – handschriftlich. Einen herrlich altmodischen Brief. Ich kann mir schon vorstellen, wie dem Empfänger Tränen in den Augen stehen vor Rührung und mein Beispiel Schule macht …

Können macht glücklich

12. November 2014

müllheimIch lebe nun schon seit ein paar Jahren im wunderschönen Dreiländereck D/F/CH, sehr nahe der französischen (7 km) und der schweizerischen Grenze (37 km). Man sollte annehmen, dass ich mir morgens mit dem Fahrrad in Chalampé frische Croissants hole und mich abends kurz in den Zug setze, um in Basel Raclette essen zu gehen. Vergiss es. Trotzdem schwärme ich anderen vor, wie toll doch diese Nähe zu zwei(!) Grenzen ist. Die Frage, wie oft ich diese Gelegenheit nutze, ist mir zugegebenermaßen etwas unangenehm. Wenn sie dann kommt, gelobe ich Besserung. Doch die Zeit fliegt und keine Croissants und kein Raclette in Sicht. Was mich allerdings nicht juckt, so lange mich keiner mit der Nase darauf stößt. Denn mir reicht die Möglichkeit, dass ich hinfahren könnte, wenn ich nur wollte. Selbiges gilt übrigens auch für die Berge, die in meiner Heimat München quasi vor der Haustür standen bzw. meines Wissens immer noch stehen. Fazit: Können alleine macht schon glücklich.